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Manuel GelsenSystemisch leben

Wie werden Veränderungen berechenbar?

Veränderungen sind notwendig – ohne sie könnten wir uns nicht auf neue Umgebungen einstellen und würden mit den bisherigen Strategien immer schlechter zurechtkommen. Gleichzeitig überfordern uns zu viele Veränderungen gleichzeitig. Im vergangenen Beitrag habe ich bereits viel über Stabilität vs. Veränderung aufgezeigt, jetzt betrachten wir das von außen, als Zuschauer.

Wir schauen uns den Ablauf jeder Veränderung an. So unterschiedlich jede einzelne sein mag, so gleich ist immer ihr Ablauf. Es erklärt, warum manche Menschen panische Angst vor Veränderungen haben, warum manche den Gedanken haben, in ein tiefes Loch zu fallen, wenn nicht alles gleich bleibt und warum manche gefühlt alles überwinden können, ohne große Anstrengungen. Betrachten wir den Ver­­änderungs­­prozess (nach Virginia Satir).

Der Ablauf des Ver­­änderungs­­prozesses

Wir befinden uns durchgehend in Veränderungsprozessen, allerdings in unterschiedlichen Stadien. Und wenn wir einen abgeschlossen haben, ist das bereits der Beginn des nächsten. Doch der Reihe nach:

Der Prozess besteht aus fünf Stadien, welche auf einer Linie dargestellt ist. Diese schaut ein bisschen aus wie das Wurzel-Zeichen, das wir im Mathematikunterricht bis zum Umfallen verwendet haben, um krasse Sachen zu machen (√ ). Egal, seht selbst.

Das Veränderungsmodell nach Virginia Satir

Die folgenden Stadien gibt es:

  1. Status Quo – alles ist gewohnt und vertraut
  2. Veränderung – Etwas fremdes tritt ein. Oft möchte man es noch nicht wahrhaben und leistet Widerstand gegen die Veränderung
  3. Chaosphase – alles ist chaotisch und kein Land ist in Sicht
  4. Anpassung – die Strategien werden angepasst und es wird versucht, mit der neuen Situation zurechtzukommen
  5. Neuer Status Quo – die neuen Strategien greifen nun so gut, dass ein neues Gleichgewicht entstanden ist. Hoffentlich besser als davor.

Jetzt wird es Zeit, die einzelnen Prozessphasen genauer zu durchleuchten

1. (der alte) Status Quo

Alles ist gewohnt und Vertraut. Hier herrscht Stabilität und Sicherheit, bei allem was passiert ist bekannt, was für Auswirkungen es haben wird. Es heißt nicht, dass Sie zufrieden mit diesem Status-Quo sind – aber Sie sehen zumindest keinen Grund / keine Möglichkeit, diesen Zustand zu verlassen.

Eine Familie, die sich seit Jahren ständig streitet, kann in so einem Status Quo sein. Es mag jeder unzufrieden mit der Situation sein, aber jeder Streit läuft ähnlich ab und am Ende ist wieder alles wie vorher. Beim nächsten Streit läuft dieser nach dem gleichen Muster ab wie der vorherige. Menschen, denen Stabilität und Sicherheit wichtig ist, setzen viel Energie daran, in diesem Zustand zu behalten – so unpassend dieser auch sein mal. Denn es kann nicht gesagt werden, was für Auswirkungen eine Veränderung mitbringen wird.

2. Die Veränderung tritt ein

Jetzt tritt eine Veränderung ein. Entweder von einem selber angestoßen oder von außen. Jetzt gelten nicht mehr die Regeln aus dem ehemaligen Status-Quo. Jetzt kommen zwei relevante Fragen:

  1. Ist bei dieser Veränderung der Point of no return überschritten oder kann jederzeit wieder auf den alten Status Quo „zurückgesprungen“ werden?
  2. Gibt es eine bestehende Strategie, mit der schnell die Veränderung kontrolliert werden kann?

Die schnelle Lösung – Veränderung kann mit bestehenden Strategien gut gelöst werden

Glückwunsch, jetzt wurden die Widerstandsphase, das Chaos und das neue Einjustieren im Turbodurchlauf überwunden und waren nur minimalistisch groß. Ein neue Status-Quo (Schritt 5) tritt ein, der ganz ähnlich zum alten Zustand ist.

Ein sehr praktisches Beispiel: Sie kochen etwas und Ihre Zutaten in der Pfanne köcheln vor sich hin. Sie wissen genau, was die folgenden Schritte sind, Sie haben das bereits oft gekocht. Weil Sie einen Anruf bekommen haben, waren Sie etwas abgelenkt und als Sie zurückkommen, brennen die Zutaten bereits leicht in der Pfanne an. Eine unerwartete Veränderung tritt ein. Wenn Sie jetzt aus der Vergangenheit noch Ideen haben wie Sie das Essen doch retten können und diese greifen, gab es zwar ein kurzes Aufzucken, am Gesamtzustand hat sich jedoch nichts groß geändert. Für das nächste gleiche Ereignis können Sie dann auch auf mehr Erfahrung zurückgreifen, somit ist der neue Zustand minimal anders als der alte.

Widerstand tritt ein

Bei jeder Veränderung tritt als erstes Widerstand auf, auch wenn Sie sich den Wandel unbedingt herbeisehnen. Denn das Verlassen des Status Quo bedeutet Unsicherheit, wo nicht klar ist, was die Zukunft bringt. Je größer die Veränderung ist, desto größer wird auch der Widerstand sein. Dieser zeigt sich durch Verleugnung, Ablehnung und aktiven Widerstand gegen den Wandel. Jedoch liegt es an einem selbst, wie lange man in diesem Zustand verbleiben möchte.

Diese Widerstandsphase mag kurz sein und nicht stark ausgeprägt, aber sie ist ein normaler Prozess bei den Veränderungen. Wenn Sie aus dem Urlaub zurückkehren und viele 100km nach Hause gefahren sind, können Sie sich noch gar nicht richtig vorstellen, daheim zu sein und wünschen sich den Urlaub zurück, denken an die schönen Tage zurück. Nach ein paar Tagen haben Sie sich jedoch daran gewöhnt. Das war eine ganz schwache Variante von Verdrängung, die jedoch ganz normal ist.

Schwerwiegender wird es bei großen Veränderungen: Todesfälle oder Trennungen. Kognitiv hat man vielleicht verstanden, dass der Partner / die Partnerin nicht mehr da ist – emotional tritt eine starke Widerstandsphase ein, die sich den alten Zustand zurückwünscht. Denn jetzt tritt eine gravierend andere, neue Zeit an mit vielen Unsicherheiten. Ist die Widerstandsphase stark ausgeprägt, wird anstatt die Veränderung zu akzeptieren das Weltbild so angepasst, dass es zwar rational nicht haltbar ist, jedoch emotional Stabilität gibt. [Nach einer Trennung]„Sie will weiterhin bei mir bleiben, nur ihre Mutter will das nicht und zwingt sie, mich zu verlassen“. „Die anderen wollen mich am Boden halten, deswegen geht es mir so schlecht.“, usw. Menschen, die stark an Verschwörungstheorien glauben, befinden sich in dieser Phase.

Damit eine Veränderung erfolgreich absolviert werden kann, muss diese Phase jedoch überwunden werden und akzeptiert werden, dass sie nun ein Teil des Lebens ist.

3. Chaosphase

Es ist akzeptiert, dass eine Veränderung wirklich stattfindet – aber wie man mit dieser zurechtkommen soll, das ist überhaupt nicht ersichtlich und bereitet einem große Angst. Wird man das meistern?

Es ist sehr wichtig, diese Phase zuzulassen und zu akzeptieren, dass es diese Chaosphase gibt. Sie ist nicht „schlecht“, da Ängste und Unsicherheit auftritt, sondern essentiell, um eine passendende neue Strategie zu finden.

„Würdige das Chaos“

Viele Menschen mögen die Phase nicht und wollen gleich zu den Lösungen kommen. Das ist einerseits verständlich, da sich Ängste und Unsicherheit erst mal nicht gut anfühlen. Diese Gefühle haben allerdings auch eine Botschaft: „Die eigenen Bedürfnisse sind in Gefahr. Stelle die Sicherheit wieder her“. Seien sie froh um diesen Kompass, der Ihnen sagt, wenn etwas nicht passt. Denn so haben Sie die Chance, zu einer passenden Lösung zu kommen.

Wenn Sie zu schnell zu einer neuen Lösung wechseln, holt Sie sich nur eine, die für jemand anderes gut funktioniert – aber das heißt noch lange nicht, dass es bei Ihnen selbst auch gut geht. Viele Ratgeber im Internet propagieren, Super-Lösungen zu haben. „Tue die 9 Schritte wie [Name einer berühmten Person] und du wirst das Leben rocken“. Ja, es mag sein, dass das bei Person X funktioniert – bei Ihnen muss das noch nicht zutreffen. Achten Sie auf Ihre Gefühle, wenn eine mögliche Lösung auf dem Tisch liegt. Wenn Sie gleich Bedenken- / ein flaues Gefühl haben, suchen Sie wieder weiter. Eine bessere Lösung kommt bestimmt.

4. Anpassungsphase

Mit der Zeit finden Sie Strategien, wie Sie besser mit der Situation zurecht kommen können. Das wird am Anfang noch nicht zu 100% passen, allerdings können Sie diese mit der Zeit immer weiter verfeinern. Es wird immer wieder Fehlschläge geben, diese hindern Sie aber nicht daran, immer weiter auszuprobieren. In Kontakt mit anderen Menschen etablieren sich langsam die Rollen, die jeder in Zukunft einnehmen wird.

Eventuell hat Ihnen die Veränderung so zugesetzt, dass Sie keine Möglichkeiten mehr sehen und resignieren, bzw. aufgeben. Auf den ersten Blick widerspricht das der Sicht, dass Sie sich der Situation anpassen. Allerdings ist das genauso eine Strategie, die Sie auswählen können. In diesem Fall ist die Strategie, dass die Änderungen nicht zu gestalten und nichts ändern wollen. Das ist die energiesparendste Möglichkeit, allerdings mit der höchsten Wahrscheinlichkeit, dass es nicht so wird, wie Sie es sich vorstellen.

5. Neuer Status Quo

Irgendwann haben Sie sich so sehr an die neue Situation angepasst, dass es für Sie der neue Normalzustand ist (eine Homöostase ist erreicht). Im besten Fall ist dieser Zustand besser als der vorhergehende, ansonsten müssten Sie weitere Veränderungen anstoßen. Die Beziehungen zu anderen Personen ist jedenfalls auch wieder stabil, d.h. das Chaos ist wieder verflogen und die neuen Rollen sind festgelegt. Sie können sich eventuell auch gar nicht mehr vorstellen, wie das Leben ohne diese Änderung war.

Eventuell sind noch nicht alle zufrieden mit diesem neuen Gleichgewicht – aber nach der Veränderung ist vor der nächsten Veränderung. Eventuell werden die nächsten Veränderungen auch wesentlich kleiner sein, so dass Sie die Chaos- und Anpassungsphase nicht mehr so heftig durchleben müssen.

Veränderungen Schritt für Schritt meistern (#2)

Im vergangenen Artikel habe ich bereits einige Fragen mitgegeben, um Schritt für Schritt Veränderungen zu meistern. Diese sind bereits sehr gut, haben jedoch die Veränderungsprozesse außer Acht gelassen. Mit folgenden Fragen bekommen Sie einen besseren Blick über die derzeitigen Veränderungen in Ihrem Leben. Die folgende Grafik gibt Ihnen wieder eine gute Übersicht.

  • Denken Sie an die folgenden Lebensbereiche: Wo erkennen Sie diesen Prozess wieder?
    • Arbeit
    • Familie
    • Hobbies / Projekte
    • usw.
  • In welchem Schritt befinden Sie sich dabei jeweils?
  • Gibt es einen Bereich, bei dem Sie in der Widerstandsphase feststecken, obwohl die Veränderung offensichtlich ist?
  • Falls das zutrifft: Was wäre das schlimmstmögliche, was passieren könnte? Bzw. was könnte in der Chaosphase auf Sie zukommen?
  • Wie könnte ein neuer Status-Quo für Sie ausschauen?
  • Was könnten Sie tun, um diesen neuen Zustand zu erreichen?

Fazit

Das Leben besteht aus Veränderungen und sobald man durchschaut hat, nach welchem Prozess diese ablaufen, wirkt alles gleich viel berechenbarer. Sobald ein moderates Maß an Veränderung zur Normalität wird, steigt auch die Zuversicht, dass bei ungeplanten danach alles gut gehen wird.

Deswegen gibt es hier noch zum Abschluss ein passendes Zitat, angeblich von Einstein, jedoch vermutlich ihm eher hinzugedichtet.

Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“

(angeblich) Albert Einstein (Quelle: profil.at)

Welche Veränderungen stehen gerade in Ihrem Leben an? In welcher Phase befinden Sie sich? Schreiben Sie es gerne als Kommentar 🙂

  • Homöostase
  • Stabilität
  • Veränderung
Von Manuel Gelsen, 30.8.2023
Zuletzt modifiziert: 26.2.2024

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Disclaimer

Bitte beachten Sie, dass die Beiträge nur meine Sichtweise wiederspiegeln und ich keine Wissenschaftliche Korrektheit garantieren kann.
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Meine Beiträge und Beratungen sind keine Ersatzleistung für medizinische, psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlungen. Wenn Sie unter schwerwiegenden psychischen oder emotionalen Problemen leiden, empfehle ich Ihnen dringend, dass Sie sich an einen qualifizierten Therapeuten, Psychiater oder Arzt wenden.

Ich bin Systemischer Berater, befinde mich derzeit in Weiterbildung zum Systemischen Familientherapeuten, somit bin ich nicht als Psychologischer Psychotherapeut, Arzt oder Psychiater ausgebildet.
In Beratungen stehen psychische Krankheiten deshalb bei mir nicht im Fokus. Ich betrachte Sie als Mensch, bei dem Krankheiten zwar vorkommen und Auswirkungen haben können, aber Ihr Leben ist mehr als nur Ihre Krankheit. Ihre Gefühle, Familie, Freunde, Umgebung, Bewältigungsstrategien, etc. – all das wirkt sich auf Sie aus. Der Fokus liegt also auf Ihnen als Ganzes und nicht nur auf einem bestimmten Aspekt Ihres Lebens.

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