Manuel Gelsen

Der Gedanken-Kreislauf
Woran glauben Sie?

Wie und woran wir denken ist nicht hart ver­drahtet, son­dern entste­ht in einem zirkulären Kreis­lauf, der unser Denken und Han­deln stark bee­in­flusst. Wir bauen Überzeu­gun­gen auf, die unsere Erwartun­gen an bes­timmte Sit­u­a­tio­nen for­men. Das bee­in­flusst, wie wir uns in diesen Sit­u­a­tio­nen fühlen und das wiederum wird Grund­lage unser­er neuen Erfahrun­gen. Betra­cht­en wir den Zirkel der Gedanken.

Beitrag erstellt: 26.11.2023 | Zuletzt modifiziert: 19.9.2024

Alle Men­schen glauben an etwas. Und damit meine ich ger­ade nicht, dass viele Men­schen an einen Gott glauben, oder an mehrere oder an etwas großes, für uns nicht greif­bares. Son­dern an ein­fache Zusam­men­hänge, mit der wir uns Teile unseres Lebens und unser­er Umge­bung erk­lären. Und diese Glaubenssätze bes­tim­men, wie wir denken, somit wie wir uns ver­hal­ten und damit wie wir leben. Für jeden Teil unseres Lebens besitzen wir einen Glaubenssatz, der uns die kom­plexe Welt erk­lärt.

  • Alle Men­schen sind böse
  • In den Bergen komme ich zur Ruhe
  • Nie­mand mag mich
  • Die anderen wollen, dass es mir schlecht geht
  • Tante Ilse ist die weltbeste Kuchen­bäck­erin
  • usw.

Im Fol­gen­den betra­cht­en wir uns, wie unsere Glaubenssätze wirken, wie wir unpassende erken­nen und aus­tauschen kön­nen.

Wie wirken Glaubenssätze?

Unser Han­deln, unsere Gedanken und Werte sind eng miteinan­der verknüpft. Vere­in­facht kön­nen Sie sich fol­gen­den Ablauf vorstellen:

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Schritt für Schritt gehen wir das jet­zt durch, damit Ihnen klar wird, welche Auswirkun­gen Ihre Überzeu­gun­gen haben. Stellen Sie sich fol­gen­des Szenario vor:

Der fik­tive Charak­ter Heiko spielt in ein­er Band als Schlagzeuger und hat heute Abend einen Auftritt. Mit­tags trifft er einen Bekan­nten, der ihm fol­gen­den Satz über­bringt “Ich kann Schlagzeuger gar nicht ausste­hen (außer dich natür­lich, du bist OK). Die sind alle so arro­gant und einge­bildet — und deren Herumgeschlage klingt wie das Bohren ein­er Bohrmas­chine.”.

1. Neue Erklärung für die Realität taucht auf

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Neue Kon­struk­te kön­nen entwed­er von innen oder von außen kom­men. Es kann sein, dass Sie in Ihrer Umwelt etwas neues wahrnehmen und deswe­gen eine Erk­lärung dafür suchen. Oder das Gegen­teil: Eine andere Per­son ver­sucht Ihnen eine Überzeu­gung zu ver­mit­teln.

Bei Heiko kam das Kon­strukt von außen von dem Bekan­nten. In diesem Fall kann dieses Heikos Selb­st­wert stark min­dern, deshalb muss er starke eigene Überzeu­gun­gen haben, um diese abzuwehren.

Es ist nicht zwangsläu­fig neg­a­tiv, wenn Überzeu­gun­gen von außen kom­men. Wenn Sie sich mit jeman­den unter­hal­ten oder flirten ver­suchen Sie natür­lich auch eine Botschaft zu über­mit­teln (“Ich bin sehr nett”, “Ich möchte dich als Part­ner haben”, usw.) Wenn bei­de davon prof­i­tieren, ist dage­gen nichts einzuwen­den.

Nur kom­men diese Kon­struk­te nicht nur von Men­schen, die nur das Beste für uns wollen. Son­dern auch von Men­schen, die etwas wollen. In der Wer­bung zum Beispiel sind diese Kon­struk­te per­fek­tion­iert. “Wenn du dieses Par­fum kauf­st, spürst du die vol­lkommene Natur wie bei einem Waldspazier­gang”. Entziehen kann man sich den äußeren Ein­flüssen nicht. Dazu müsste man schw­ere­los im Weltall schweben, abgekapselt von jedem anderen Lebe­we­sen. Wir kön­nen nur ler­nen, schnell zu erken­nen, wenn jemand uns von etwas überzeu­gen möchte. (Ich ver­mei­de hier den Begriff “manip­ulieren”, da dieser stark neg­a­tiv ver­wen­det wird. Nur weil andere Men­schen ihre Ansicht­en mit uns teilen- und uns von etwas überzeu­gen wollen, ist das noch lange nichts neg­a­tives.)

2. Erwartungen werden angepasst

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Wenn Sie mit ein­er neuen Erk­lärung für die Real­ität kon­fron­tiert wer­den, ver­gle­ichen Sie diese erst ein­mal mit Ihren derzeit­i­gen Überzeu­gun­gen, es entste­hen Gedanken und innere Bilder, um das zu einzuord­nen. Wenn diese gar nicht in Ihre Lebenswelt passt, wer­den Sie diese Erk­lärung ablehnen. Falls Sie jedoch denken, dass da etwas dran sein kön­nte, suchen Sie Ihre Erfahrun­gen und Ihre Umge­bun­gen ab, mit Fokus auf Beweise, welche diese Erk­lärung möglicher­weise bestäti­gen.

In die Welt von Heiko passt das Kon­strukt erst ein­mal nicht here­in, er empfind­et Schlagzeug nicht als Lärm und empfind­et sich nicht als Arro­gant und einge­bildet. Die Botschaft und das Bild der arro­gan­ten Schlagzeuger ist jedoch hän­gen geblieben. Das innere Bild eines arro­gan­ten Men­schen ist in ihm präsent, wenn er an Schlagzeug denkt. Dieser ver­hält sich unfre­undlich gegenüber anderen Men­schen und viele wen­den sich von ihm wegen dem Ver­hal­ten ab

3. Empfindungen werden ausgelöst

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Innere Bilder lassen oft Gefüh­le entste­hen. Und die Kör­per­sprache passt sich den inneren Bildern an. Wenn Sie Gedanken haben, die ihnen Angst machen, wer­den Sie ver­mut­lich auch verkrampfen und erstar­ren oder leichte Panik bekom­men, so als ob die Bedro­hung wirk­lich da wäre. Obwohl außen in der Umge­bung keine Aus­lös­er für diese Gefüh­le und Regun­gen vorhan­den sind, hat sich Ihr Unter­be­wusst­sein auf eine solche Sit­u­a­tion eingestellt.

Bei den Gedanken an arro­gante Men­schen wird eine leichte Angst bei ihm aus­gelöst, da seine größte Sorge wäre, dass durch rück­sicht­slos­es Ver­hal­ten die Men­schen sich abwen­den. Und da Schlagzeuger arro­gant sind, steigt seine Angst, dass sich die Men­schen von ihm abwen­den, während eines Konz­ertes. Dazwis­chen leg­en sich Anfangs noch die Ent­ge­genge­set­zte Gedanken “Das ist doch quatsch, als Schlagzeuger ist man nicht arro­gant”. Doch es entste­ht eine Gedanken­spi­rale, in dem immer wieder das buhende Pub­likum zu sehen ist, weil er sich arro­gant ver­hal­ten hat.

4. Erfahrungen werden gemacht

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Jet­zt wer­den mit dem neuen Gedanken­muster die ersten Erfahrun­gen gemacht. Die Gefüh­le und Gedanken verän­dern jet­zt auch die Wahrnehmung und das Ver­hal­ten. Die Ereignisse wer­den jedoch nicht neu­tral inter­pretiert, son­dern so, dass diese auch zu dem Gedanken­muster passen.

Falls jedoch das Wahrgenommene gar nicht mit den Gedanken zusam­men passt, entste­ht eine kog­ni­tive Dis­so­nanz. Das heißt, Gedanken und Wahrnehmung passen nicht zusam­men, was Unbe­ha­gen aus­löst. Daraufhin gibt es zwei Möglichkeit­en:

  1. Das Gedanken­muster wird angepasst, da es nicht der Wahrnehmung entsprochen hat. In dem Fall würde Heiko vielle­icht sagen “Alles ist super gelaufen, warum habe ich mich von meinem Bekan­nten heute Mit­tag so here­in­stressen lassen mit seinen Mei­n­un­gen
  2. Das Wahrgenommene wird anders bew­ertet und andere Aspek­te wer­den nun betra­chtet, damit es zum Gedanken­muster passt. Hier würde Heiko nun ver­mehrt auf die Reak­tion des Pub­likums schauen. Jedes Gäh­nen oder nicht-reak­tion wird als Beleg gese­hen, dass er arro­gant ist und deswe­gen mögen ihn die Leute nicht
  3. Die Wahrnehmung wird in Frage gestellt, da das Gedanken­muster als kor­rekt ange­se­hen wird. Dadurch wird die Wahrnehmung durch eigene Aspek­te erweit­ert, damit es zum Gedanken­muster passt. Hier hätte Heiko ein­deutig gese­hen, dass die Per­son vorne ihn grim­mig angeschaut hat. Und das muss ein­deutig sein, da er arro­gant ist

5. / 1. Die Erklärung verfestigt sich

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Aus der Erfahrung wer­den nun die Rückschlüsse gezo­gen, dass die The­o­rie richtig sein muss. Das heißt, das Ver­hal­ten war gerecht­fer­tigt, genau­so wie die Emo­tio­nen, usw. Jet­zt fängt der Kreis­lauf wieder von vorne an, nur etwas inten­siv­er, da sich der Glaubenssatz etwas fest­ge­set­zt hat.

Heiko hat den grim­mi­gen Mann ganz vorne gese­hen — das lässt die Gedanken­spi­rale weit­er kreisen, dass er arro­gant sei und ihn deshalb die Men­schen nicht mögen. Das näch­ste mal wird die Angst noch größer, die Mei­n­ung ver­fes­tigt sich weit­er, usw. im schlimm­sten Fall hört Heiko das Musizieren auf, da er das mit Arro­ganz und dadurch alleine gelassen wer­den verbindet.

An was wollen Sie glauben?

Das Beispiel ger­ade klang sehr drama­tisch, als ob man macht­los sei gegen diese etwas zu tun. Das ist natür­lich falsch. Sie kön­nen entschei­den, woran Sie glauben wollen. Dieser Teufel­skreis­lauf kon­nte nur stat­tfind­en, da Heiko dieses Kon­strukt des Bekan­nten wider­willig akzep­tiert hat. Hätte er von Anfang an die Ein­stel­lung gehabt “Das ist nur die Ein­stel­lung meines Bekan­nten, ich kann Schagzeug spie­len und trotz­dem ein net­ter Men­sch sein”, hätte der Kreis­lauf gar nicht erst ange­fan­gen.

Heiko hätte auch dieses Kon­strukt das Bekan­nten bew­erten- und dann ablehnen kön­nen, da er derzeit ein besseres hat: “Men­schen mögen meine Musik”.

Fol­gen­der Ablauf hätte dann stattge­fun­den:

  1. Überzeu­gun­gen Das Kon­strukt des Bekan­nten hätte mit dem Satz “Men­schen mögen meine Musik” konkur­ri­ert, wobei das derzeit beste­hende viel mehr ver­ankert ist und pos­i­ti­vere Auswirkun­gen auf Heiko hat
  2. Erwartun­gen Das Bild des Lärms und der Arro­ganz passt nicht in seine derzeit­i­gen Erfahrun­gen, deswe­gen wird dieses Kon­strukt abgewiesen
  3. Empfind­un­gen Eventuell macht es Heiko wütend, da das nicht mit seinem Welt­bild übere­in­stimmt und ihm das auch keine Vorteile bringt, son­dern nur eine Reduk­tion des Selb­st­werts
  4. Erfahrun­gen Das Kon­strukt des Bekan­nten kon­nte nicht Fuß fassen, eventuell wurde sog­ar das Kon­strukt “Men­schen mögen meine Musik” ver­stärkt, da diese Bilder wieder her­vorgerufen wur­den. Die Erfahrun­gen bestäti­gen das Kon­strukt nicht, deswe­gen wird dieses Kon­strukt abgew­ertet.

Wer darf entschei­den, an was Sie glauben wollen? Natür­lich Sie. Nie­mand anderes. Eventuell haben andere Per­so­n­en gute Gründe, Ihnen neue Überzeu­gun­gen mitzugeben, bzw. beste­hende anzu­passen. Dann kön­nen Sie wenn Sie wollen auch Ihr Welt­bild dementsprechend anpassen.

Anstatt “Nie­mand mag mich” kön­nten Sie zum Beispiel ab jet­zt sagen “Andere kön­nen es mir oft nicht zeigen, dass sie mich mögen”.

Glaubenssätze existieren auch auf glob­aler, poli­tis­ch­er Ebene. Ich höre zum Beispiel oft bei den ganzen Krisen zur Zeit den Glaubenssatz “Die Men­schheit ist zu dumm, um unsere ganzen Krisen zu meis­tern”. Es ist auch nicht schw­er, viele Beispiele für dieses Kon­strukt zu find­en. Nur lei­der führt dieser zu Angst, Verzwei­flung und Res­ig­na­tion und der Blick in eine bessere Zukun­ft ist dadurch nicht möglich.

Dieser Glaubenssatz auch keine absolute Wahrheit (“Aber das ist doch wirk­lich so”), son­dern nur eine mögliche Per­spek­tive, mit der sich alle Zusam­men­hänge erk­lären lassen kön­nen. Sie kön­nten auch für den gle­ichen Zus­tand einen neu­traleren Glaubenssatz ver­wen­den: “Die Men­schheit ste­ht vor vie­len sehr großen Her­aus­forderun­gen”. Das ändert erst ein­mal nichts an dem, was ger­ade passiert — allerd­ings lässt dieser Blick eine Möglichkeit für eine pos­i­tive Zukun­ft.

Fazit

Ihr Welt­bild ist frei form­bar, da dieses nur eine Erk­lärung auf Ihre Wahrnehmung ist. Und je nach Betra­ch­tungsweise hat das Auswirkun­gen auf Ihre Entschei­dun­gen und Ihr Ver­hal­ten. Es gibt Welt­bilder, die hem­men Sie und sor­gen dafür, dass Sie eher wenig tun. Und es gibt andere, mit denen Sie ins Han­deln kom­men. Sie kön­nen entschei­den, was Ihr Welt­bild ist.

Und es gibt eine Rei­hen­folge: Erst kommt die Wahrnehmung, dann das Ihr Kon­strukt. Das heißt, wenn Sie ein Welt­bild haben und Ihre Wahrnehmung passt gar nicht dazu, dann ver­w­er­fen Sie Ihr Kon­strukt und über­legen sich ein neues. Ver­suchen Sie nicht, Ihre Wahrnehmung auf Biegen und Brechen anzu­passen und Sachen hinein zu inter­pretieren, nur damit das Kon­strukt beste­hen bleiben kann.

Wenn Sie fest überzeugt sind, dass es Drachen­men­schen gibt, Sie in der Real­ität jedoch keine sehen — dann ver­w­er­fen Sie diese These, bzw. passen diese an, bis diese mit der Real­ität vere­in­bar ist. Wahrnehmung kommt vor Kon­strukt. Anson­sten: Passen Sie ihre Kon­struk­te so an, dass diese gut für Sie sind. Wie das geht, erfahren Sie im näch­sten Blog­post.

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Ich bin Systemischer Berater, mit (noch nicht abgeschlossener) Weiterbildung zum Systemischen Familientherapeuten. Ich bin nicht als Psychologischer Psychotherapeut, Arzt oder Psychiater ausgebildet.
Deshalb stehen in meinen Beratungen keine psychischen Krankheiten im Fokus. Ich betrachte Sie als Mensch, bei dem Krankheiten zwar vorkommen und Auswirkungen haben können, aber Ihr Leben ist mehr als nur Ihre Krankheit. Ihre Gefühle, Familie, Freunde, Umgebung, Bewältigungsstrategien, etc. – all das wirkt sich auf Sie aus. Der Fokus liegt also auf Ihnen als Ganzes und nicht nur auf einem bestimmten Aspekt Ihres Lebens.

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